Verfassungsstaat und Verfassungsgerichtsbarkeit in der Europäischen Union

| EUdentity 2019

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Előadó:
Mrs. Brigitte Bierlein
President of the Constitutional Court of Austria

Sehr geehrter Herr Präsident Sulyok!

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vielen Dank für die Einladung zur heutigen Konferenz. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat diese Einladung gerne angenommen, zumal zwischen dem ungarischen Verfassungsgericht und dem Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich traditionell sehr enge kollegiale und freundschaftliche Beziehungen bestehen, die bis in das Jahr 1990 zurückreichen.

Dem Generalthema der Konferenz entsprechend werde ich in meinem Beitrag das komplexe Verhältnis zwischen Verfassungsstaat und europäischer Integration kurz beleuchten.

Der Begriff des Verfassungsstaates bezeichnet ein staatliches Gemeinwesen, dessen rechtliche Grundordnung bestimmte wesentliche Inhalte aufweist. „Verfassung“ bedeutet in diesem Zusammenhang mehr als bloß irgendeine rechtliche Ordnung der essentiellen Einrichtungen eines Staates, wie sie jeder Staat ab einem gewissen Grad arbeitsteiliger Organisation zwangsläufig aufweist. Gemeint ist vielmehr eine rechtliche Staatsorganisation, die im Kern von zwei eng miteinander verzahnten Prinzipien getragen ist: Zum einen von der Idee der Gewaltenteilung, also der Ausdifferenzierung der obersten Staatsorgane, die eine Begrenzung und Kontrolle der Staatsgewalt im Interesse der Freiheit des Einzelnen gewährleistet; zum anderen von der Idee der Grundrechte, also der rechtlichen Gewährleistung bestimmter Bereiche staatsfreier individueller Freiheit.

Beide Gedanken – Gewaltenteilung und Grundrechte – begründen den Verfassungsbegriff des modernen Konstitutionalismus. Im 19. und 20. Jahrhundert hat sich dieses Verfassungsmodell über die ganze Welt verbreitet und ist heute zu einem Standard geworden, an dem die Staaten und ihre politisch-rechtliche Realität gemessen werden.

Der Konstitutionalismus gewann im 20. und 21. Jahrhundert mit der Loslösung des Verfassungsbegriffes vom Nationalstaat neue Dimensionen: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat ein Prozess der Konstitutionalisierung des Völkerrechts begonnen; also eine zunehmende Begrenzung der Staaten durch übergeordnete zwingende Rechtsprinzipien (ius cogens), die sich aus Elementen des nationalen Konstitutionalismus und den „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ der Staaten zusammensetzen. Zu diesen Prinzipien zählen vor allem die Menschenrechte.

Diese Konstitutionalisierung erfasst auch die supranationalen Staatengemeinschaften, insbesondere die Europäische Union. Zwar ist das Projekt einer „Verfassung für Europa“ im Jahr 2005 gescheitert, dennoch enthält der geltende EU-Vertrag bereits alle Elemente einer „Europäischen Verfassung“: Diese hat Vorrang vor den Verfassungen der Einzelstaaten, und die EU bekennt sich in Art. 2 EUV ausdrücklich zu den Prinzipien eines Verfassungsstaates (Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Minderheiten, Freiheitsrechte – einschließlich Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit oder Pressefreiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit[1]). Diese Prinzipien bilden auch einen Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Handelns der Union. Zur Wahrung des EU-Rechts – und damit auch zur Sicherung seines Vorrangs vor den staatlichen Rechtsordnungen – ist der Gerichtshof der Europäischen Union berufen, dem damit eine Schlüsselfunktion im europäischen Verfassungsverbund zukommt.

Ön itt egy előadásrészletet talál, ami a 2019. március 8-án, Constitutional EUdentity 2019 címmel megrendezett konferencián
hangzott el. A teljes előadás szövegét az Alkotmánybírósági Szemle 2020. évi különszámában nyomtatott változatában olvashatja el. Előfizetni a folyóiratra itt tud.